Sina Schroeder
Versponnen

Konzentriert blicken die Frauen auf ihre Arbeit. Sie spinnen, weben und nähen, ordnen die langen Fadenstränge in ihren Händen und scheinen völlig versunken. Ein wenig erinnern sie dabei an Dornröschen an ihrer Spindel. Riesige Schmetterlinge helfen bei der Arbeit, von der Decke hängt eine Traube Fledermäuse, ein Gürteltier spaziert durch die Szene.

Es ist eine surreale Welt, die Nikola Röthemeyer in ihrer Serie »FadenSpiele« entstehen lässt. Die Blätter stecken voller kleiner Kuriositäten, die den Zeichnungen etwas Geheimnisvolles, fast Magisches verleihen. Der Betrachter wird aufgefordert, diese fremdartige Welt zu erforschen, die am Ende doch unergründlich bleibt.

Die 1972 geborene Künstlerin stiftet Verwirrung, indem sie einzelne Elemente in anderen Bildern wiederholt und dort wie ein Echo des Originals wirken lässt. Ein anderes Mal spielt sie mit Aussparungen, und obwohl bei einigen Figuren die Körperkonturen nicht gezeichnet sind, vervollständigt sich das Bild im Kopf des Betrachters.

Nikola Röthemeyers Zeichenweise ist detailgetreu und filigran. Jeder Strich wird präzise gesetzt, jede Schattierung gekonnt aufgetragen. Die Bilder sind ausnahmslos in Schwarz-Weiß gehalten, ein Element jedoch sticht leuchtend hervor. Meist sind es die Socken der Protagonisten, die sich wie der sprichwörtliche rote Faden durch Röthemeyers Arbeit ziehen. Diese Kombination aus klaren Konturen und einem gezielt eingesetzten Farbkontrast sorgt für den Reiz dieser außergewöhnlichen Zeichnungen.

Ein Jahr brauchte die Künstlerin für ihre Serie, die für eine Ausstellung im Krefelder Kunstverein entstand. Die Stadt aus »Samt und Seide« blickt auf eine lange Tradition der Textilindustrie zurück, die Nikola Röthemeyer als Inspiration diente. Sie recherchierte akribisch zu einzelnen Techniken, ließ Tätigkeiten nachstellen, fotografierte die Szenen und nutzt sie als Vorlage. Auch Titel wie »Passieren mit Hummelschwärmern« stammen aus dem Fachjargon und beschreiben den jeweils gezeigten Arbeitsgang. »FadenSpiele« knüpfen stilistisch und inhaltlich an frühere Serien wie »FrauenZimmer II« an. Auch hier zeichnete die Künstlerin Porträts von Frauen, die einer anderen Welt entsprungen scheinen.

in: Der Tagesspiegel, Nr. 21 303, S. 28, Berlin, 14.4.2012